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Leseproben
aus dem Roman:
Der Wind weht noch immer aus Rajasthan
Jaipur/Indien,
an einem 15. Oktober. Sanft hüllt das abendliche Licht der
sinkenden Sonne die Wüstenstadt mit ihren Palästen in
ein zauberhaftes
Gelbrot. Ich stehe zwischen zwei Zinnen auf der Stadtmauer und schaue
meditativ über die flachen Dächer und Minarette in die
Abendsonne. Leichte Brisen des Abendwindes bringen angenehme Linderung
des ansonsten immer noch recht warmen Tages. Nun bin ich wieder
hier - in Indien - genauer gesagt in Rajasthan. Die letzten Tage
waren seit meiner Ankunft am Flughafen in Neu Delhi eher nervenaufreibend.
Aber die Passion, die Wonne, und auch Freude, dieses faszinierende
Land wiederzusehen lässt die Reisemüdigkeit in den Hintergrund
treten. Ach, es ist eigentlich jedes Mal das Gleiche. Während
der ersten Tage hier in Indien gilt es erst einmal den Kulturschock
zu überwinden, mit dem man als zivilisationsdressierter
Westeuropäer konfrontiert wird. Ja, dieser Gegensatz von glänzendem
Reichtum und gleich daneben schreiender Armut. Es ist diese Mischung
des Gestanks in den Millionenstädten von Autoabgasen, exotischen
Gewürzen, Kot von Kühen, verfaulendem Abfall sowie von
den hier landesüblichen Totenverbrennungsstätten. Seltsam,
eigenartig - ja schon sehr speziell dieses Indien Bharat hindustani,
wie dem die meisten Inder selber sagen. Doch als kulinarisch verwöhnter
Franzose lässt man sich von den pikanten exotischen Gaumengenüssen
sowie von der Schönheit der mandeläugigen, pechschwarzhaarigen,
feingliedrig gebauten Frauen in ihren zauberhaften glänzenden
Saris und Punjabis nur allzu leicht verführen... Wie so oft
ist halt das Herz stärker als der Verstand. Aber was solls
auch schon. - In den letzten Tagen war ich noch in Mumbai, diesem
16 Millionenmoloch zwischen Slums, Betonwüste und dem superreichen
Malabar Hill Quartier, in dessen wunderbarem Park ich auch beim
Blick auf den palmengesäumten Ozean doch ein wenig Ruhe fand...
So viele Erinnerungen verbinden mich inzwischen mit Indien, seitdem
ich dieses Land vor ungefähr elf Jahren das erste Mal betrat
und kennenlernen durfte. Meine Reisen führten mich bis nach
Colcata, dem Elendsmoloch des Subkontinents, nach Varanasi, dem
größten Heiligtum der Hindus mit seinen Ghats entlang
dem heiligen Fluss Ganges, bis hoch nach Shimla, dem indischen St.
Moritz im Himalaya auf über 2000 Metern. Gegensätzlich,
verführerisch, pervers und spirituell zugleich wirkt dieses
rätselhafte Land auf den Homo occidentalis des
frühen 21. Jahrhunderts....
Doch Indien ist für mich nicht nur das soeben Genannte, nein,
es ist eigentlich viel mehr, nämlich die magische Verbundenheit
mit dem Schicksal und dem Verlust meines besten Freundes. Hier sollten,
wie vorbestimmt die Wurzeln des Anfangs von seinem Untergang liegen.
Gerade beim Besuch der Städte Jaipur und Kanpur stieß
mir diese bittere Erinnerung wieder auf....
Langsam legt sich die Nacht über die Altstadt von Jaipur. In
der herbstlichen Abendkühle steige ich die Treppen der Stadtmauer
hinunter und schlendere in Richtung Tripolia Bazaar, dem Zentrum,
um irgendwo meinen allmählichen knurrenden Magen zu stillen
***
Unser
Junggesellenleben verlief für gewisse Zeit frei und sorgenlos.
Gemeinsam unternahmen wir Reisen in alle Regionen Frankreichs, nach
Deutschland als auch nach Italien. Ohne familiäre Bindungen
und Verpflichtungen konnten wir in diesen Jahren unsere zweite Jugend
unter dem Pariser Himmel unbeschwert genießen. - Bis hin zu
einem gewissen 15. November, einem neblig trüben Montag, der
Alains weiteres Schicksal unwiederbringlich verändern sollte.
Es war dies nämlich das einschneidende Ereignis seiner ersten
Begegnung mit jener Frau, in der er die Hoffnung, Erfüllung
und letztlich die Vervollkommnung seines Lebens sah, und welche
von nun an die Weichen seines Werdeganges unaufhaltsam stellen würde.
Diese Frau war eine im hiesigen Quartier völlig unbekannte,
noch nie gesehene Halbinderin namens Vrinda Singh. - Alles was ich
heute darüber zu erzählen weiß, entstammt Alains
Berichten, die er mir noch in der ersten Zeit nach dieser Begegnung
mitteilte, bevor dann unser freundschaftlicher Kontakt abrupt abbrach
und er sich - wie wir später sehen werden - in seine seltsame
splendid isolation hinein schaukeln sollte....
Alain ging oft über Mittag in einem kleinen Restaurant-Bar
namens La Laterne du Marais, unweit des Centre
des monuments nationaux im 4è Arrondissement, essen.
Normalerweise nahm er die Formule du Jour - das einfache
Tagesmenü, dazu ein Pichet - ein Kännchen
mit 25cl Wein und ein kleines Mineralwasser. Die Zeit vor und nach
dem Essen nutzte er gewöhnlich zum Durchblättern der Pariser
Tageszeitungen, bevor es dann wieder gegen 14 Uhr an die Arbeit
zurückging. -
Doch an jenem Montag sollte dann alles ganz anders kommen - Ce
fut la voix du destin - die Stimme des Schicksals! Alain aß
an jenem Tag, nach der Eingangssuppe, einen Teller mit Spaghetti
Bolognese, als plötzlich eine atemberaubend feingliedrig gebaute,
schlanke und hochgewachsene exotische Schönheit, mit bis zu
den Hüften herabhängenden glatten schwarzen Haaren sowie
großen Mandelaugen, in ihrem orientalisch angehauchten Seidenanzug
neben ihm stand, und ihn mit einer hypnotisierenden feinen, sanften
Stimme ansprach, um ihn alsbald schon zu verzaubern
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